Neuromarketing hat sich im Arbeitsalltag vieler Marketing-Abteilungen etabliert. Es ist anerkannt, dass fast alle unsere Kaufentscheidungen auf unterbewussten Prozessen basieren – auch bei OTC-Produkten. Obwohl wir das wissen, tun wir uns schwer, unsere Marketing-Massnahmen an den Erkenntnissen der Neurowissenschaften auszurichten. In der Pharma-Branche herrscht die Meinung, dass man auch bei freiverkäuflichen Arzneimitteln Kund:innen durch Fakten und Fachwissen statt durch Emotionen für sich gewinnen kann. In den an Relevanz gewinnenden Online-Apotheken ist es eine verpasste Chance, nicht auf die emotionalen Bedürfnisse der Kund:innen einzugehen. Anhand ihrer Journey wird sichtbar, bei welchen Emotionen man effektiv ansetzen kann.
Das Verständnis für emotionale Reaktionen auf Verpackungsdesign, auf Werbematerialien und bei Content ermöglicht es Pharma-Unternehmen, ihre Produkte so zu positionieren, dass sie nicht nur Vertrauen aufbauen, sondern überhaupt wahrgenommen werden. Top of mind muss bereits im gesunden Zustand bestehen, bevor das Produkt benötigt wird.
Digital Awareness bei der Zielgruppe generieren
In einer reizüberfluteten digitalen Welt konkurrieren Pharma-Produkte nicht nur mit den Mitbewerbenden, sondern im Prinzip mit allem zur Verfügung stehenden Content. Kund:innen recherchieren nach Symptomen, Krankheitsbildern und Therapiemethoden – nicht nach Inhaltsstoffen und Produkteigenschaften. Wenn hier der Content nicht bedürfnisorientiert zur Verfügung gestellt wird, schaffen wir die erste Hürde – überhaupt wahrgenommen zu werden – nicht.
Beispiel: Wenn wir «Schlafprobleme» im Suchfeld eingeben, erscheinen erstmal ein Gesundheitsblog, ein Matratzenhersteller, eine Reportage und Blogbeiträge von verschiedenen Spitälern. An 12. Stelle erscheint erstmals ein Artikel zu diesem Thema von La Roche-Posay, sogar spezialisiert auf Schlafprobleme bei Kindern. An 14. Stelle dann Similisan. Für alle Schlafmittel-Hersteller ist hier eine ungenutzte Chance, digital sichtbar zu werden.
Consideration auf der Customer Journey
Je nach emotionalem Bedürfnis kommt unser OTC-Produkt in Frage oder nicht. Fun Fact: Das Bedürfnis nach Verlässlichkeit, Gesundheit und Qualität haben alle Gesundheitsprodukte gemeinsam und bilden noch kein Differenzierungsmerkmal. Dennoch ist es wichtig, auch diese Aspekte in der Kommunikation und Produktgestaltung zu berücksichtigen, um Vertrauen aufzubauen und in die engere Auswahl zu kommen. Weitere bedürfnisspezifische Differenzierungsmerkmale wie Natürlichkeit, Abwechslung oder Effizienz ermöglichen dann ein in Betracht ziehen, sogar über die Preissensibilität hinweg. Ein unverwechselbares Erscheinungsbild hilft, in Erinnerung zu bleiben, um später am Point of Sale wiedergefunden zu werden.
Beispiel: Neocitran kommuniziert nicht den Wirkstoff, sondern das Krankheitsbild: Grippe und Erkältung, mit der Emotion Effizienz. Diese nutzenorientierte Markenpositionierung wird zusätzlich durch den starken orangenen Auftritt unterstrichen. Dank einer stringenten Markenführung sind die Produkte dieser Marke unverwechselbar.
Wie wir den Conversion-Moment im Pharma-Umfeld beeinflussen können
Im Online-Shop ist es wichtig, potenzielle Käufer:innen nicht an Vergleichsprodukte zu verlieren und weiterhin die Bedürfnisse zu adressieren. Viele OTC-Produkte einer Kategorie greifen auf die gleichen visuellen Codes zurück und werden in der Übersicht austauschbar, wodurch sie ihre Wiedererkennbarkeit verlieren. Bevor Interessent:innen sich weiter in die Produkte reinklicken, müssen diese bereits visuell differenziert werden.
Beispiel: Auf einem grossen Schweizer Online-Apothekenportal geben wir «Heuschnupfen Nasenspray» ein. Es erscheinen 9 Ergebnisse: 8 Verpackungen sind mit viel Weissanteil und grün-blauen Farbelementen. Eine Verpackung ist vollflächig pink-violett: Telfastin Allerspray®. Die Farbe wirkt in diesem Kontext dominant und suggeriert Wirksamkeit. Sie erhält unbewusst unsere Aufmerksamkeit, während alle anderen Verpackungen austauschbar wirken.
Neuromarketing in der Retention-Phase nutzen
Hier spielen die eigenen digitalen Medien und Marken-Auftritte auf sozialen Netzwerken eine entscheidende Rolle. Vor allem für wiederkehrende Krankheitsbilder und Bedürfnisse bedeutet Nachsorge den ersten Schritt zur Vorsorge und einen entscheidenden Schritt zur mentalen Verfügbarkeit. Die dankbare Situation ist hier, dass wir die Kund:innen bereits von unserem Produkt überzeugt haben und nun mit bedürfnisorientiertem Content diese Zufriedenheit im Gehirn verankern können.
Beispiel: Femannose® ist ein OTC-Produkt, welches zur Vorbeugung und Behandlung von Harnwegsinfektionen verwendet wird. Auf der Webseite erhält man neben Produktinformationen auch generelle Tipps zur Vorbeugung von Blasenentzündungen. Das Kund:innenwohl steht hier im Fokus, nicht die Produktwerbung. Dies bindet emotional mit Vertrauen.
Advocacy digital und analog nutzen
Gerade bei Gesundheitsthemen können Pharma-Unternehmen davon profitieren, sich einen treuen Kund:innenstamm aufzubauen, der nach einem zufriedenstellenden Genesungsprozess die genutzten Produkte im Umfeld lobpreist. Das ist auch die Gruppe, die offen ist, Produktneuheiten der gleichen Marke auszuprobieren und bei einer erneuten Erkrankung gezielt das Produkt zu kaufen. Die Krönung einer solchen Treue ist natürlich, wenn die Marke zum Synonym für eine ganze Produktkategorie wird.
Beispiel: Aspirin® ist eine bekannte Marke von Bayer, welche inzwischen als Gattungsnamen für Schmerzmittel im Allgemeinen steht.