Tarja Zingg im Gespräch mit dem Kantonsspital Aarau (KSA): Über die gemeinsame Kampagne «Rund um den Bauch», die Schönheit des Darms, innovative Ansätze und darüber, wann es sich lohnt, ein Risiko einzugehen.
KSA: Tarja Zingg, ein Jahr lang haben Sie sich mit Ihrem Team intensiv mit den Bauchorganen befasst. Wie gefällt Ihnen der Darm?
Tarja Zingg: Ich bin begeistert von seiner Schönheit!
Was begeistert Sie daran?
Nicht nur die Oberfläche, sondern was er alles leisten kann, fasziniert mich. Er ist ein Wunderwerk der Natur! Bauchorgane werden oft als «grusig» empfunden: Bei einem realistischen Foto schaue ich lieber weg. Wird der Darm aber kunstvoll dargestellt, nehme ich ihn als attraktiv und interessant wahr – das ist der Grundgedanke der Kampagne, die wir in Zusammenarbeit mit dem KSA und dem Spital Zofingen umgesetzt haben.
Die Leber in der Plakat-Kampagne sieht aus, als hätte Rembrandt sie gemalt, der Magen könnte von Andy Warhol stammen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Über Krankheiten der sogenannten Bauchorgane spricht man nicht gerne. Wer mag schon von seiner Stuhlinkontinenz oder seinem Reflux erzählen? Diese Scham führt oft dazu, dass Leute nicht oder zu spät zum Untersuch gehen. Wir wollten aus dem Tabu Hingucker machen, die für Gesprächsstoff sorgen und die Menschen emotional abholen. Anfangs geht das am besten über Farben und Formen, die Aufmerksamkeit erregen – indem wir die inneren Organe als wertvolle Kunstwerke abbilden, was sie ja auch sind. Man muss einfach hinschauen, weil es irritiert und Fragen aufwirft. Zum Beispiel, ob Warhol tatsächlich einen Magen gemalt hat.
Hat er?
(Lacht) Nein, sämtliche Bilder haben wir in der Agentur am Computer selbst entworfen und gestaltet.
Reicht es, wenn die Leute die Plakate betrachten?
Die Plakate fungieren als Türöffner. Die Strategie dahinter: Erst breit Aufmerksamkeit wecken und berühren, dann in die Tiefe gehen. Das ist auch die budgetfreundlichste Lösung, da wir mit den Bildern sehr viele Leute mit wenig Aufwand erreichen können – eine Voraussetzung dafür, dass sie sich überhaupt mit dem Thema befassen. Als Ökonomin will ich aus jedem Franken das Maximum herausholen, besonders, wenn es sich um öffentliche Gelder handelt.
Was heisst «in die Tiefe gehen» konkret?
Wer sich einen Darm genauer anschaut, beginnt sich eher für die Funktionen zu interessieren. Und wer sich interessiert, informiert sich gründlicher – etwa auf unserer Microsite, im Magazin, das am 26. August erscheint, oder den Social-Media-Kanälen wie Facebook, LinkedIn und Instagram, alles Bestandteile der Kampagne.
Was kann diese vertiefte Information im besten Fall bewirken?
Zum Beispiel, dass jemand realisiert, wie wichtig eine Darmspiegelung ab 50 Jahren für die Früherkennung von Darmkrebs ist. Oder dass die Probleme einer Stuhlinkontinenz manchmal mit einer kleinen Operation gelindert werden können.
Bei medizinischen Kampagnen stehen oft Operationen, Organe in Grossaufnahmen oder Ärzte im Zentrum. Wie viel Überzeugungsarbeit mussten Sie leisten?
Viel! Als wir die Kampagne erstmals voller Euphorie und mit viel Herzblut den Chefärztinnen und Chefärzten präsentierten, kamen die Reaktionen zügig: Zu unkonventionell, passt das zu einem Spital, ist es seriös genug?
Wie haben Sie reagiert?
Wenn man auffallen und wahrgenommen werden will, muss man ein Risiko eingehen. Wir von der Agentur und die Marketing- und Kommunikationsabteilung des KSA waren überzeugt vom Konzept und beschlossen, die Kampagne in der Praxis zu testen. Die Rückmeldungen waren zu 100 Prozent positiv. «Endlich mal was Neues», hörten wir etwa von einem Facharzt. Eine Adipositas-Patientin sagte: «Ich habe nicht gewusst, dass mein Darm so schön ist. Der Humor lässt mich meine Scham vergessen.» Damit konnten wir schliesslich überzeugen und ein Umdenken bewirken. Dass die Ärzteschaft offen und bereit war, ihre Meinung zu revidieren und sich auf unseren innovativen Ansatz einzulassen, hat mich berührt.
«Rund um den Bauch» ist nun im Raum Aarau und Zofingen lanciert. Wer soll sich angesprochen fühlen?
Alle zwischen 30 und 90 Jahren, Hausärzte, Zuweiser, Patientinnen und Patienten, Angehörige – und explizit auch Gesunde. Dass die Zielgruppe so heterogen ist, bedeutete für uns eine Herausforderung. Angehörige einer Darmkrebspatientin haben andere Interessen als eine Person mit einem Reflux, eine Hausärztin weiss mehr als ein Patient. In einem ersten Schritt haben wir deshalb die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen akribisch zusammengetragen und daraus ein Konzept abgeleitet, das alle anspricht und einschliesst.
Sind erste Reaktionen schon zu Ihnen gelangt?
(Lacht) Noch nicht im Detail, aber die Worte «Stark!» und «Gelungen!» sind bereits mehrfach gefallen.
Die Agentur «Lumina Health» ist Spezialistin für Marketing und Kommunikation im Gesundheitswesen. Wie sind Sie aufgestellt?
Unser interdisziplinäres Team vereint Profis aus unterschiedlichen Gebieten – von der Ökonomie über Text, Konzept, Typographie, Philosophie, Design bis zu Digital Health. Ohne diese vielseitige Expertise und eine Leidenschaft für wirksame Kommunikation im Gesundheitswesen wäre eine so komplexe Kampagne gar nicht realisierbar – an «Rund um den Bauch» waren allein von unserer Seite sieben Leute beteiligt. Dazu kam natürlich die professionelle Begleitung und Unterstützung bei der Ausarbeitung und Lancierung der Kampagne durch die Verantwortlichen in der Marketing- und Kommunikationsabteilung des Spitals.
Welche Idee blieb unverwirklicht?
Eine grosse, goldene Darmskultpur direkt am Empfang des KSA – denn der Darm ist ein echter Hingucker. Doch das hätte unser Budget definitiv gesprengt.
Quelle Text: Kantonsspital Aarau
> Einblicke ins Projekt «Rund um den Bauch» bekommen Sie hier
> Oder besuchen Sie die Kampagnen-Website für mehr Informationen